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Im eigenen Lande hüllt sich Honda vornehm ins Mäntelchen der Zurückhaltung. Der Leistungskrieg muß ein Ende haben", wirft sich der Konzern moralisch in Pose und verkündet freiwillige Leistungsbeschränkungen. Der Welt zeigt die größte Motorrad-Fabrik aber doch ein ganz anderes Gesicht. Die gnadenlose Aufrüstung hat nun die totale Bombe geboren. Honda präsentiert stolz das schnellste Serienmotorrad, das je auf den Straßen losgelassen worden ist. Die VF1000-R löst die CB1100-R als Speerspitze des aggressiven Programms ab - und stellt den Reihenvierzylinder plötzlich völlig in den Schatten. Sie wirkt neben der Alten so sportlich wie ein Zehnkämpfer im Olympiadress neben dem Opa im Jogging-Anzug. Denn was die Alte zu bieten hatte, steht in keinem Verhältnis zu den Renommierwerten der Neuen. Ausgerechnet auf der deutschen Autobahn mußte die VF1000-R schon den ersten Beweis antreten. Gekonnt getarnt erreichte sie auf den Schnellstraßen rund um Offenbach bereits Ihre Höchstgeschwindigkeit. Knapp 250 km/h meldeten die Testfahrer als Spitzenwert nach Rückkehr von der hessischen Testschleife. Die unglaubliche Höchstgeschwindigkeit hatte das Superbike bereits auf dem japanischen Testkurs erreicht. Doch ist bei solch abenteuerlichemTempo auch die Fahrstabilität noch garantiert? Wo läßt sich diese Frage besser beantworten, als auf den unlimitierten deutschen Autobahnen. Eben um Aufschluß darüber hatten die Japaner ihren Entwickler Masayoshi Uesugi gebeten, der in der Sprendlinger Straße 114 in Offenbach, unweit der Honda Deutschland-Zentrale, seine Forschungsaufträge erledigt. Die Frage nach ausreichenden Sicherheitsreserven hatte seinen japanischen Kollegen während der knapp über ein Jahr dauernden Entwicklungszeit nämlich besonders auf den Nägeln gebrannt. Bei so extremer Zeitnot waren sie nämlich gezwungen, das Chassis aus dem Regal des Honda-Programms zu holen. Der Vierkantrohrrahmen der VF 750 F schien als Leistungsträger des neuen Motors gerade recht. An einigen Schwachstellen versteift, trägt er nun aber ein Kraftwerk, das seinesgleichen bislang bestenfalls auf der Rennstrecke finden konnte. Diesem Milieu, oder besser gesagt, der Szene der amerikanischen Superbikes ist dieser Kraftprotz entwachsen. Bis ins Detail gleicht der neue Motor dem Triebwerk, das schon Weltmeister Freddie Spencer in die Steilkurven von Daytona gepreßt hat. Wie das Renngerät, offiziell RS1000 RW benannt, arbeitet die neue 10OOer-Straßenmaschine mit einem kurzen Hub von 53,5 Millimetern. Die Bohrung fiel um einen Millimeter ferner aus,denn die VF 1000 R schöpft ihre unbändige Kraft aus 980 ccm , während die Rennversion das Maß vollgemacht hat: 1024 ccm. Beachtlich ist in beiden Fällen vor allem die Leistungsausbeute: 130 PS bei 10500 U/min in der Straßenversion und 150 PS bei 11 000 U/min im Superbike. Deutschen Schemata kann sich solche Leistungsausbeute nicht mehr unterordnen. Deshalb wird nur eine limitierte Stückzahl über Nockenwellen und Auspuffanlagen gezähmter 100 PS-Maschinen importiert werden. Faszinierende Technik bleibt allerdings auch der gezähmten Widerspenstigen erhalten. Ein herausragendes Merkmal der VF 1000 R, die im Grunde ja auf dem Motor der Sportmaschine VF 750 fußt, ist der Antrieb der Ventilsteuerung über feinmechanische Meisterwerke. Um die vier Nockenwellen und damit die insgesamt 16 Ventile präzise wie ein Uhrwerk laufen zu lassen, ersetzen Stirnräder die Antriebsketten. Im Sporteinsatz hat sich dieser Aufwand längst bewährt. Von der Piste auf die Straße werden mit der VF 1000 R eine ganze Reihe weiterer Details übersiedelt sein. Die Gabel, mit 41 Millimetern Standrohrdurchmesser recht üppig ausgefallen, hält die Radachse in Schnellverschlüssen, wie Langstreckenrennmaschinen es eben tun. Den Wärmehaushalt des 90-Grad-V-Motors regeln gleich zwei Wasserkühler, wobei ein Flüssigkeitsbehälter hinter dem Scheinwerfer in der Verkleidung Platz gefunden hat. Ein technischer Kniff allerdings feiert im Supersportmodell wirklich Premiere: In der Aluminiumkastenschwinge hängt ein Hinterrad mit 17 Zoll Durchmesser, auf das erstmals ein Gürtelreifen aufgespannt wird. Mehrere Gründe sprechen dafür, in der Konstitution der Bereifung mit den Automobilbauern gleichzuziehen. Zum einen werden 130 muntere Pferdestärken den Gummi wohl nun endgültig über Gebühr strapazieren, zum anderen läßt sich so vielleicht endlich akzeptable Lebensdauer des teueren Pneus realisieren. Am Vorderrad allerdings geht es weiterhin konventionell zu. Auf den stärkenden Gürtel muß der 16 Zoll kleine Reifen verzichten. Ansonsten gibt es an der VF 1000 R alles, was das Herz eines Superbaikers begehrt. Die Vollverkleidung mit der getönten Scheibe scheinen die Honda-Techniker Ihrem Weltmeister Freddie Spencer direkt von der Grand Prix Maschine gestohlen zu haben. Wie an der Zweitaktrennmaschine ist die Kunststoffkarosse auch an der Serienmaschine dafür verantwortlich, dem stehenden, hinteren Zyllnderpaar kühlende Luft zuzufächeln. Die Auspuffanlage, die vier Entsorgungsrohre zunächst in einer gemeinsamen Expansionskammer sammelt, um schließlich zwei Endrohre mit Aluminiumschalldämpfern zu krönen, gleicht der Honda-Langstrecken-Lösung perfekt. An diese Rennmaschine erinnert die VF sogar noch mit einer optischen Retusche: Der große Benzinhahn an der Seite des blau-weiß-roten Tanks erinnert an die Schnelltankanlage des Endurance-Motorrads. Die übrigen Ausstattungsdetails zählen längst zum üblichen Honda-Standard: Pro-Link-Hinterradfederung, Doppelkolbenbremsen an drei Scheiben, Wechselsitzbank. Ebensowenig Hausmannskost wie die Leistung von 130 PS ist auch das Gewicht: Die Sport-Honda soll Vollgetankt unter der 270-Kilogramm-Marke bleiben. Damit wäre sie nicht nur für 250 km/h. sondern auch für einen 400-Meter-Sprint in knapp zehn Sekunden gerüstet. Schneller war noch nie ein Serienmotorrad. |